Vergeben, aber nicht vergessen

Es ist ein Projekt, das vor vielen Jahren durch einen dieser klassischen Zufälle begann. Da suchte jemand hier in New York einen Menschen mit der Fähigkeit, Videos zu drehen und zu schneiden, konnte nicht viel bezahlen, aber kam mit einem Thema, in dem – wie sich nach und nach herausstellte – ganz viel schlummerte. Mehr jedenfalls, als der durchschnittliche Amerikaner zu erkennen in der Lage ist, selbst wenn er schon mal von den Deutschen und dem Holocaust gehört hat. Es geht nämlich heute, viele Jahre nach den historischen Ereignissen, mehr um Nuancen und Zwischentöne, um kulturelle Besonderheiten und ungelöste innere Widersprüche. Denn das Thema der großen Zahlen, wie das Dr. Frank Mecklenburg, der Chefarchivar des Leo Baeck Instituts in New York mal gesagt hat, das haben die Historiker und wir als Konsumenten dieser Informationen bereits ausgiebig abgehandelt. Wenn es aber um die Nuancen geht, dann sollte man bei diesem Thema sicher Deutsch verstehen, die Urtexte und Dokumente lesen können. Und persönlich von der wichtigsten aller Fragen gequält werden. Sie lautet: Wie konnte das alles nur passieren?

Es wäre sicher angebracht, erst einmal zu berichten, was aus diesem Projekt über ein paar Umwege und Verzögerungen geworden ist, nachdem ich die Gelegenheit bekam, viele Zeitzeugen zu interviewen, die mittlerweile fast alle gestorben sind: Es ist eine Radiosendung geworden, die am 7. November auf Deutschlandradio Kultur um 19.30 Uhr in der Reihe Zeitreise ausgestrahlt wird. Der Titel: „Vom Tode bedroht“. Programmhinweis an alle, die sich für das Schicksal von Juden im Deutschland der Nazi-Zeit interessieren und dafür, was aus denen wurde, die rechtzeitig emigrieren konnten – es lohnt sich, sich die Uhrzeit vorzumerken. Diese Geschichte wurde nämlich noch nirgendwo so erzählt. Nicht in Deutschland. Und in den USA nicht in dieser Gründlichkeit.

Dabei spielt es übrigens keine Rolle, dass die meisten Zeitzeugen, die ich im Laufe der letzten Jahre in New York, Boston, Albany, Fort Lauderdale, Berlin und Bad Nenndorf treffen konnte, am liebsten Englisch sprechen. Ihre Erfahrungen und ihre Einschätzung der damaligen Zeit lassen sich durchaus in jeder Sprache vermitteln. Aber Interviews  sind bei Themen mit Tiefgang nur Bausteine. Zur Abrundung des Bildes gehört mehr. Nicht zuletzt das Quellenmaterial und die Sekundärliteratur, die die Zusammenhänge verständlich machen. Gerade dabei ist es hilfreich, wenn man die schwarz-weiße, schlichte Denkschablone, mit der in den USA ältere und neue Geschichte betrachtet wird, möglichst nicht benutzt.

Wie wurde aus einer ursprünglich als Videoproduktion gedachten Arbeit eine Radiosendung? Das liegt an einer Reihe von Begebenheiten, die mir halfen, den eigentlichen Wert des Materials zu erkennen. Der besteht nämlich nicht in den bewegten Bildern. Bildern, die unter erschwerten, weil kostengünstigen Bedingungen entstanden sind und mit mir als Fragesteller, Kameramann, Tontechniker und Beleuchter in einer Person.

Gut, wenn die Interviewten sowieso vor allem auf das gesprochene Wort Wert legen. Denn, das was sie sagen, das trägt ihre Botschaft. Das transportiert den Kern ihrer Geschichte.

Was diese Menschen zu erzählen hatten – ihre Erinnerungen über das Leben auf einem Auswanderungslehrgut in Oberschlesien und die Zeit danach – das ließ sich zum Glück tontechnisch mit der Videokamera durchaus sehr ordentlich aufnehmen. Diese Aufnahmen wuchsen zu einem enormen Fundus heran, der sich in einem Sendeformat von 30 Minuten Länge gar nicht richtig aufblättern lässt. Zumal die Sendung bewusst auf ein weiteres Element zurückgreift, das dieser ganz besonderen Geschichte seinen ganz besonderen Charakter gibt. Die jungen Juden von Groß Breesen haben nämlich, obwohl – oder besser: weil – nach der Emigration in alle Himmelsrichtungen und auf alle Kontinente verstreut, nie Kontakt zueinander verloren. Ihre Rundbriefe wurden später von einem Mitglied der Gruppe zusammengestellt. Als Kompendium legen sie Zeugnis ab von der ungewöhnlichen und unter dem Strich erstaunlich positiven Geschichte einer Gruppe von Menschen, die fliehen mussten, zahllose Angehörige in der Vernichtungsmaschine der Nazis verloren, die teilweise monatelang im KZ waren, zu Teil als Soldaten in den Armeen der Alliierten die Tyrannei zu beenden halfen und dabei ihr Leben riskierten. Und die hinterher trotzdem immer fast sehnsuchtsvoll an jene Zeit zurückdenken mussten, als sie auf dem Acker und im Kuhstall in Oberschlesien arbeiten mussten und ihnen, den durch die Nürnberger Gesetze rechtlos gewordenen Teenagern, ein charismatischer pädagogischer Leiter viele Wertbegriffe vermittelte. Nachhaltig vermittelte. Den aufrechten Gang zum Beispiel, die Verantwortung für sich und die Gemeinschaft, in der man lebt, und die Zuneigung zu – deutscher – Literatur und Musik.

In der Arbeit an diesem Thema musste ich oft daran denken, was mir Abraham Foxman, der Chef der Anti-Defamation League, mal in einem Interview gesagt hatte, als es um die Frage ging, weshalb man in New York, dem Zufluchtsort so vieler Juden, einer deutschen Firma wie der Allianz es nicht gestatten möchte, ihren Namen auf ein Sportstadium zu pflanzen: „We can forgive, but we cannot forget.“ Die Allianz gehörte in der Nazi-Zeit zu den Steigbügelhaltern und Profiteuren des Regimes. Das zu vergessen, dazu möchte man hier in diesem Teil der USA nicht genötigt werden.

Nein, wir können nicht vergessen. Auch wenn die meisten inzwischen in hohem Alter gestorben sind. So wie Ernst Cramer, der am 27. Januar 2006 im Bundestag zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus eine Rede gehalten hatte und stets sehr skeptisch gewesen war, dass jemand die Erfahrungen der Gruppe überhaupt nuanciert genug begreifen und darstellen kann. Ich erinnere mich noch an den grauen Berliner Tag, als ich ihn, den Journalisten, der um die Bedeutung von Worten und von Sprache wusste, in seinem Büro hoch oben im Axel-Springer-Verlagsgebäude traf.

Ein kurzes Video als Teaser soll es demnächst trotzdem geben. Vorher vielleicht noch etwas anderes zur Einstimmung: eines der  Musikstücke, die ich für die Sendung komponiert habe. Es hat den schlichten Titel Groß Breesen.


Nachtrag: Wie ich festgestellt habe, wurde bedauerlicherweise keine der Musiken aus meiner Werktstatt verwendet. Über den Grund kann ich nichts sagen. Dies ist das Link zur Aufnahme der Sendung.

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