Es gibt keine verbindliche Leitlinie für journalistische Recherchen. Nicht mal einen vernünftigen Kompass. Man sucht. Man findet. Man interviewt. Man schreibt oder produziert (wie in diesem Fall). Aber das heißt nicht, dass es nicht Redaktionen gäbe, die das Gefühl verbreiten, dass es so etwas gibt wie den verbindlichen Leitfaden. Weshalb so vieles an journalistischer Arbeit so kalkuliert und berechenbar ist und am Ende auch so rüberkommt.
Solche Konventionen haben eine erhebliche Bremswirkung, wie ich in den letzten Monaten mal wieder feststellen konnte, weil ich von meinem Standort New York aus eine faszinierende Erfolgsgeschichte ausfindig gemacht hatte, die mich zu einem jungen Komponisten führte, der in Chemnitz bei seinen Eltern lebt und nicht im Telefonbuch steht, sich nicht auf jede Email meldet, die man an seine Webseite schickt. Und der überhaupt so gar nicht an dieser Inszenierung aus Ruhm und Ehre interessiert scheint, die Teil der Medienmaschinerie ist.
Das Porträt über C418 – so nennt er sich im Internet – kann man seit heute online nachlesen und nachhören. Es wurde in der Sendung Corso beim Deutschlandfunk ausgestrahlt. Wie es überhaupt dazu kam, ist eine faszinierende Geschichte in sich selbst: Die Geschichte einer ungewöhnlichen Recherche, die in New York begann und über Paris und Köln bis nach Sachsen führte. Ein Weg, auf dem ich drei komplett unterschiedliche Radiogeschichten einsammeln und sehr viel über eine Szene heraufinden konnte, von der ich bis dahin nur wenig wusste.
Es begann vor ein paar Monaten mit einer Ubahn-Fahrt nach Brooklyn. Mein Teil der Welt, in der eine Menge von dem passiert, was andere interessiert. In Brooklyn – dort sitzt in einem kleinen Laden an der Washington Avenue eine junge, sehr erfolgreiche Tortenbäckerin mit einem Stab von Angestellten, die unter dem Namen BCakeNY ganz Erstaunliches fabrizieren. Das hatte nur einen gewissen Neuigkeitswert, denn Miriam Milord war zuvor bereits vom ZDF und von Spiegel Online porträtiert worden. Es ging also darum, fürs Radio dem Thema noch die eine oder andere Facette abzugewinnen. Das Resultat klingt so.
Bei der Produktion des Beitrags stolperte ich über Musik, die mir völlig unerwartet das Tor zu einem ganz anderen Thema öffnete. Es handelte sich um einen Song mit dem Titel Make a Cake, der Teil eines neuen Phänomens ist. Isoliert betrachtet ist es einfach nur eine gut gemachte Parodie eines sehr erfolgreichen Liedes von Katy Perry. Der Song heißt Wide Awake.
Der Erfolg hat viel damit zu tun, wie groß die Faszination ist, die das Spiel Minecraft ausübt. Es wurde mittlerweile auf der ganzen Welt mehr als 25 Millionen mal heruntergeladen und hat eine Fanbasis, die künstlerisch begabte Menschen zu allem Möglichen stimuliert. Was auf eine kaum zu erklärende Weise auch an der Orginal-Musik liegen dürfte. Eine Musik, auf deren Spuren ich über weitere Recherchen kam, als ich mehr über Minecraft herausfinden wollte und in einem Video von der Fan-Veranstaltung Minecon in Paris einen jungen Musiker sah, der über seine Arbeit sprach.
Er redete Englisch, aber mit einem leichten Akzent, was neugierig machte. Der offizielle Komponist der offiziellen Minecraft-Musik – er kam aus Deutschland. Er verbarg sich wie so viele Netz-Aktive unter einem Pseudonym. Journalistische Geschichten in Deutschland über ihn gab es nicht. Vielleicht auch deshalb, weil er er nicht so leicht zu finden ist.
Ich habe diesen hochbegabten Komponisten C418 am Ende doch aufgespürt. In Chemnitz. Bei seinen Eltern. Per Telefon und mit cold calls. Wir verabredeten uns auf eine Unterhaltung via Skype. Woraus ein umfangreiches Gespräch über die noch junge Karriere dieses ungewöhnlichen Musiker wurde. Er heißt übrigens Daniel Rosenfeld.
Fürs Radio produzieren, heißt zuhören können. Man muss wirklich den Gegenüber nicht sehen. Aber Redakteure in Printredaktionen sehen das anders. Die finden, eine lesenswerte Geschichte über einen Menschen und seine Arbeit braucht das einfach, dass der Autor ihn getroffen und beim Kaffeetrinken beobachtet hat. Wenn das nicht klappt, lassen sie die Berichterstattung lieber sausen. Ja, so einfach geht das manchmal. Wissen die Leser, dass ihnen von ihren Redaktionen aufgrund solch banaler Vorbehalte Geschichten vorenthalten werden, die sie theoretisch als erste lesen könnten? Wie sollten sie. Darüber schweigt der Sänger aus lauter Höflichkeit.