Sonntag war Nachspielzeit. Womit das lange Radiostück gemeint ist, das in der gleichnamigen Reihe von Deutschlandradio Kultur lief. Das hatten neben Lance Armstrong vor allem seine Seilschaften, Mitwisser und Mittäter im Blickwinkel. Und sollte den Komplex aktuell um jenen Gedanken erweitern, den der Doping-Experte Hajo Seppelt in der Sendung so formulierte: „Da gab es genug, die geschwiegen haben, die mit Armstrong kollaboriert haben, die davon auch profitiert haben. Es ist schon so, dass wir in der öffentlichen Wahrnehmung dazu neigen, dieses auszublenden. Das ist wirklich ein Skandal, der noch nicht zu Ende ist.”
Wer das Ganze nachholen und nachhören möchte, kann das noch eine Weile tun. Der Sender hat das Manuskript und die fertige Produktion mit Sprechern, Interview-Segmenten und Musiken hochgeladen. Weil der Skandal noch nicht zu Ende ist, werde ich mich sicher auch in der Zukunft mit dem Thema beschäftigen. Und zwar je nach Nachrichtenlage und Brisanz. Ich nehme mal an, der Kinofilm, der laut Hörensagen den doppeldeutigen Titel Icon hat („I con“ heißt auf Englisch frei übersetzt „ich trickse andere aus“, con artists ist der Begriff für Hochstapler), wird uns alle demnächst auf jeden Fall noch einmal auf die Sache zu sprechen kommen lassen.
Vielleicht werde ich jedoch etwas anderes zu den Akten legen: Ich habe für die Sendung mehrere Instrumentalmusiken aus meiner Produktion verwendet, die man getreu eines alten Gedankens aus der künstlerischen Sphäre nur einmal einsetzt und danach nie wieder. Das hat Tradition. Zum Beispiel bei Filmmusik. Kein Mensch würde in dem Genre auf die Idee kommen, solche Hinzufügungen zum kreativen Ensemble noch einmal als Erkennungsmerkmal eines anderen Films einzusetzen. Je nach Bekanntheitsgrad werden sie allenfalls zu Stoff für Parodien. Sie sind mit dem Werk untrennbar verschmolzen.
Ich verstehe, wie so etwas passiert. Denn irgendwie hängen wir alle an einem Kunstbegriff, in dem Originalität eine wichtige Rolle spielt. Selbst bei einer Kunstgattung, die qua Gestaltungsabsicht erst noch aufgeführt werden muss, damit sie überhaupt hörbar wird. Wir versuchen auch nicht dieselben Gedanken noch mal zu Papier zu bringen und zu publizieren. Wir wollen, wo es geht, originär sein und originell.
Das Konzept und die Haltung dahinter sind anspruchsvoll und reizvoll. Aber so einfach ist das alles gar nicht. Nicht, dass es mir an Ideen mangelt. Wen es interessiert, dem verrate ich gerne, dass ich im Laufe der letzten Jahre mehr als 400 Musikstücke komponiert habe, von denen etwas mehr als 50 über die eine oder andere Schiene medial (in Videos, in Radiosendungen, in Podcasts) verwertet wurden. Sie sind damit Teil eines eines ganz spezifischen atmosphärischen und gestalterischen Kontexts geworden. (Videobeispiele auf meiner Webseite americanarena.net)
Es sind so viele Musiken, weil ich ständig zwischendurch neue Sachen entwerfe. Musik machen entlastet und entspannt die andere Seite des Gehirns ungeheuer, die den sprachbasierten journalistischen Output produziert.
Trotz dieser Menge und Vielfalt habe ich einige wenige Stücke schon mehr als einmal irgendwo untergebracht. So wie am Sonntag im Nachspiel, in dem ich mich für den Einstieg und einen weiteren atmosphärische Farbtupfer bei Material bedient habe, das ich vor wenigen Wochen (damals neu und frisch) eigens für dieses Video geschrieben habe – ein Interview mit dem amerikanischen Schriftsteller Jim Herity. Ein weiteres Stück hatte ich vor ein paar Jahren für das Video über einen österreichischen Architekten komponiert. Ich bin mir relativ sicher, dass diese Klangbeispiele zwar in ihrem visuellen Kontext bestens passen, aber dass sie auch so etwas wie eine universellere Einsetzbarkeit besitzen (zumindest für den Rundfunk, wo wir keine Bilder haben und die Funktionalität von Musik einen etwas anderen Zuschnitt hat.
Allerdings gibt es in der Armstrong-Sendung auch etwas ganz Neues, sozusagen exklusiv: die Musik am Ende.
Die hat, das ist so Usus, nämlich tatsächlich eine sehr eigene, radiospezifische Funktion zu erfüllen. Sie soll zum Schluss etwas von der Stimmung des Features mitnehmen, aber so angelegt sein, dass sie anschließend einem Sprecher erlaubt, eine Moderation draufzusetzen. Und sie soll quasi jeder Zeit ausklingen dürfen. Sie ist der Puffer für die Zeit, bis die nächste Sendung anfängt. Das heißt, sie braucht ein gewisses Tempo, gewisse Klangfarben und eine Emotionalität, die eher Bewegung signalisiert als Stillstand. Sie ist Endsignal und Übergang in einem.
Ich habe für beinahe alle Nachspiel-Sendungen, die ich in den letzten Jahren erarbeitet habe – über die Halls of Fame im Sport, die Eskimo-Olympiade, das Trend-Brett Snowboard – solche Ausklangmusiken geschrieben. Auch weil ich auf dem Markt der vorhandenen Stücke fast nie etwas finde, was ich für wirklich passend halte. Das soll nicht anmaßend klingen. Theoretisch muss man nur lange genug suchen. Aber dazu habe ich ehrlicherweise keine große Lust. Die Lust verwende ich lieber auf die Kreativität, etwas Neues zu erschaffen. Etwas, was dann tatsächlich originär ist, keine Konfektion aus dem Kaufhaus der Klänge. Etwas, was im optimalen Fall vorher im öffentlichen Rahmen noch niemand gehört hat.
Manchmal wünscht man sich, dass diese Arbeit mal jemand zur Kenntnis nimmt, ja, das vielleicht sogar jemand käme, der sagt: Hey, kannst du uns/mir nicht auch eine Musik stiften, die funktional und inspirierend ist und einen zum Zuhören animiert? Aber damit sollte ich bis auf weiteres nicht rechnen. Mit solchen Klängen am Rand zur Unaufdringlichkeit bewegt man sich wie ein gesichtsloser Typ in einer Masse. So wie wenn man durch die Straßen von New York läuft, wo einen auch keiner anspricht und keiner einen kennt. Auf der anderen Seite: Warum nicht wenigstens hier in diesem Blog mal darüber reden? Und ein paar Beispiele vorführen, die womöglich die eine oder andere Reaktion produzieren. Kann nicht schaden. Oder?
Diese ist die Ausklangmusik vom Sonntag. Titel: 4tilehuffed
Dies ist das Stück, mit dem die Sendung Museen, Medaillen, Mythen zu Ende ging. Es heißt Cooperstown.
Die Eskimo-Olympiade und die Musik, die sie in Alaska spielen, inspirierte mich zu diesem Stück: Down the Chena River
Dies ist der Ausstieg aus der Trend-Brett-Sendung. Der Titel When You Push Me I Won’t Fall
Tatsächlich habe ich diese drei Musiken noch nie irgendwo anders eingesetzt und würde das wahrscheinlich auch inhaltlich und innerlich gar nicht hinbekommen. Irgendwie sind sie hier genau richtig platziert und würden woanders sicher längst nicht so gut passen. Ähnlich geht es mir bisher mit den Titelmusiken, die ich Videos verwendet habe. Sie sind Signaturmerkmale geworden, die sich nicht einfach verpflanzen lassen. Es sei denn, es kommt der Tag und jemand sieht oder besser hört das anders. Ich bin gespannt, ob das jemals passiert.